Sonntag, 28. September 2008

Europas Schwäche ist Russlands Stärke

„Was braucht es noch,“ „damit Europa aufhört, Putin wie einen Demokraten zu behandeln? Müssen erst alle Oppositionsparteien verboten sein? Oder was ist, wenn sie damit beginnen, auf offener Straße auf Leute zu schießen?“ Wahrscheinlich ist es wahr, dass es auch in solchen Fällen wenig gäbe, was die EU tun könnten. Sich zu kümmern wird immer die beste Hoffnung für die Menschen in Europa und Russland sein.
Die Bürger Georgiens würden da vermutlich kaum zustimmen. Russlands Invasion war die direkte Folge einer fast ein Jahrzehnt währenden Zeit der Hilflosigkeit und Selbsttäuschung des Westens. Der zu Beginn seiner Herrschaft im Jahr 2000 in der internationalen Arena zunächst unerfahren und vorsichtig agierende Putin lernte schnell, dass er mit allem durchkam, ohne Konsequenzen durch die EU oder Amerika befürchten zu müssen.
Russland wurde wieder zu einer KGB-Diktatur, während Herr Putin bei den G8-Gipfeln als gleichberechtigter Partner behandelt wurde. Italiens Silvio Berlusconi und Deutschlands Gerhard Schröder wurden Geschäftspartner des Kreml. Herr Putin erkannte, dass demokratische Legitimation ebenso gekauft und verkauft werden konnte, wie alles andere. Die endgültige Bestätigung war die Akzeptanz Dmitri Medwedews innerhalb der G8 und auf der Weltbühne. Die Führer der freien Welt begrüßten Putins durch eklatant gefälschte Wahlen gesalbte Marionette.
neulich sprintete der französische Präsident Nicolas Sarkozy nach Moskau, um ein Waffenstillstandsabkommen zu vermitteln. Ihm wurde erlaubt, seine Show abzuziehen, vielleicht als Belohnung für seine telefonische Gratulation an Herrn Putin nach russischen parlamentarischen Dezember-„Wahlen“. Aber vor nur wenigen Monaten war Herr Sarkozy noch als Bittsteller in Moskau, um für Renault zu werben. Wie viel Glaubwürdigkeit hat er wohl in Putins Augen?
Tatsächlich versucht Herr Sarkozy einer Krise zu begegnen, an deren Entstehung er selbst mitgewirkt hat. Im April hatte er noch die amerikanische Initiative blockiert, Georgien auf einen schnellen Weg zur NATO-Mitgliedschaft zu bringen. Das war eine von den vielen verpassten Gelegenheiten, die in ihrer Gesamtheit Putin den Eindruck vermittelten, mit allem ungestraft durchzukommen. Auf diese Weise förderten und unterstützten die G7-Nationen die Ambitionen des Kreml.
Georgien tappte in eine Falle, wenn auch seine unvorsichtigen Aggressionen in Südossetien vom Wunsch Putins überspielt wurden, den starken Mann zu spielen. Russland nutzte die Chance, auf georgischem Gebiet in die Offensive zu gehen und sich dabei gleichzeitig als Held und Opfer zu präsentieren. Herr Putin hat lange Zeit darauf gelauert, den georgischen Präsidenten Micheil Saakashvili für sein respektloses Verhalten sowohl gegenüber Altmeister Russland, als auch gegenüber Putin persönlich (es gibt ein bekanntes Gerücht, dass der georgische Präsident Putin als „Lilli-Putin“ verspottete).
Die Zuneigung Saakaschwilis zu Europa und zu dem Westen wurde vom Kreml als schlechtes Beispiel aufgefasst. Die Regierungen der abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien sind von oben bis unten mit Bürokraten aus den russischen Geheimdiensten durchsetzt.
Während des Konflikts war die vom Kreml choreografierte Botschaft in den russischen Medien eine einzige Hysterie. Die Nachrichten stellten Russland als umgeben von Feinden in Nah und Fern dar und die militärische Intervention als wesentlich, um das Leben und die Interessen von Russen zu schützen. Es wird oft von einem ersten Schritt gesprochen, dem weitere Enklaven in der Ukraine folgen werden. Falken wie Russlands nationalistischer Politiker Vladimir Zhirinovsky werden genutzt, um die öffentliche Meinung aufzupeitschen und zu testen. Der Kreml-gestützte ultranationalistische Ideologe Alexander Dugin sprach im Radio davon, dass die russischen Truppen nicht eher stoppen sollten, als bis sie gestoppt werden. Der Schaden aus solcher Rhetorik ist nur sehr langsam zu heilen.
Der Konflikt droht auch das Verhältnis zu Europa und Amerika für die kommenden Jahre zu vergiften. Kann ein derart kriegerischer Staat als Garant für die europäische Energieversorgung angesehen werden? Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain wurde für seine starke Haltung gegenüber Herrn Putin verspottet, die auch einen Vorschlag zum Rauswurf Russlands aus den G8 enthielt. Werden seine Kritiker nun zugeben, dass der Mann, den sie als antiquierten Kalten Krieger bezeichnet hatten, als Einziger Recht hatte?
Die gängige Vorstellung vom unverwundbaren Russland dient als Ausrede für Untätigkeit. Präsident Bushs verspätete harte Sprache ist willkommen, aber jetzt müssen Sanktionen in Betracht gezogen werden. Die im Kreml bestimmende Clique hat vitale Interessen im Ausland – z.B. Vermögenswerte – und diese Interessen sind anfällig.
Das Blut, der in diesem Konflikt Getöteten, klebt an den Händen radikaler Nationalisten, gedankenloser Politiker, opportunistischer Oligarchen und den Führern der Freien Welt, die Gas und Öl einen höheren Wert beimessen, als Prinzipien. Es werden noch mehr Leben verloren gehen bis endlich starke moralische Grenzen gezogen werden, um die Grenzen in den Karten zu verstärken.

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