Freitag, 14. November 2008

Gerhard Schröder und Georgien

Der Hasardeur
Endlich benennt mal jemand Ross und Reiter, endlich sagt mal jemand, wer wirklich schuld ist am Krieg im Kaukasus. Interessant nur, wer sich da an die Spitze der Russland-Liebhaber in Deutschland setzt.

Von Sebastian Bickerich


Der georgische Präsident Saakaschwili sei ein "Hasardeur", Russland verfolge keine Annektierungspolitik im Kaukasus, und der Nato-Beitritt Georgiens sei jetzt ja wohl "in noch weitere Ferne gerückt", sagt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Unterstützt wird er dieser Tage von allerlei Berliner Außenpolitikern, die im Nachhinein darüber jubeln, dass Kanzlerin Merkel vor einem halben Jahr den Beitritt Georgiens (und der Ukraine) zur Nato torpediert und in fernste Zukunft verschoben hat. Interessant nur, wer sich da an die Spitze der Russland-Liebhaber in Deutschland setzt: Der Kanzler, dessen Ostsee-Pipelineprojekt ohne Beteiligung des Baltikums, Polens und der Ukraine eine gemeinsame europäische Energiepolitik auf lange Sicht verhindert hat. Der Kanzler, der die Hoffnungen vieler Oppositioneller in Moskau auf eine Besserung der Menschenrechtslage mit seinem Gerede vom "lupenreinen Demokraten" Wladimir Putin bitter enttäuscht hat. Und der Kanzler, der als Privatier nun Lobbyarbeit für ein von Russland mitfinanziertes Pipeline-Konsortium betreibt. In einer Zeit, in der Europa seine Politik gegenüber Moskau dringend auf eine neue Grundlage stellen muss, in der Ereignisse wie das des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und das in der Tschechoslowakei sich jähren, müssen Beschwichtigungsworte wie die Schröders in den Ohren junger Demokratien in Osteuropa wie Hohn klingen. Vielleicht bedurfte es erst des Weckrufs eines Lobbyisten wie Schröder, damit man in Berlin und Paris einsieht, was in Riga, Tallinn, Vilnius, Kiew, Warschau und Stockholm schon lange begriffen wird: Verständnis für Russlands Georgien-Politik zu signalisieren, heißt den Zugriff Russlands auf die Ukraine, das Baltikum und womöglich andere Staaten Osteuropas in Kauf zu nehmen. Wer das tut, ist ein Hasardeur.

Eu-Russland Beziehungen

An den Eiern“ wollte Ministerpräsident Putin Georgiens Präsident Saakaschwili aufhängen. Mit dieser drastischen Metapher erläuterte Russlands starker Mann kürzlich seinem französischen Gesprächspartner Sarkozy seine Strategie im Kaukasuskrieg. Ob das auch die Wortwahl Russlands beim EU-Russlandgipfel in Nizza war? Unwahrscheinlich ist das nicht. Das Selbstvertrauen Moskaus ist nach dem Überfall auf Georgiens Kernland größer denn je. Schon unmittelbar nach der Wahl Barack Obamas hatte Präsident Medwedew mit russischen Waffensystemen gegen die geplante US-Raketenabwehr gedroht – er zwingt damit den künftigen US-Präsidenten, sich zumindest im Grundsatz für ein System auszusprechen, das der doch eigentlich für überflüssig hält. Ein paar Tage später läuft ein brandneues U-Boot aus, leider sterben dabei 20 Matrosen, doch die Angriffswaffe wird trotzdem fristgerecht an die Flotte übergeben. Drohgebärden, Amerikaobsession, Militarismus: Der Handwerkskoffer russischer Außenpolitik stammt gefühlt noch immer aus der Breschnew-Ära. Europa muss sich dessen bewusst sein, wenn es mit Russland wieder in den Dialog tritt. Dass es das tut – wie gestern in Nizza geschehen –, ist richtig, und auch gegen den Plan einer Sicherheitskonferenz ist nichts einzuwenden. Was in Brüssel, Paris oder eben in Nizza auf europäischer Seite aber fehlte, war eine Idee davon, wohin die Reise gehen soll. Worin liegt das Wertefundament einer europäisch-russischen Politik? Geht es nur um Öl und Gas? Wie steht es um Rechtsstaatlichkeit, um Demokratie? Oder darf man Russland „nicht reizen“, wie deutsche Außenpolitiker warnen? Das Lavieren um eine klare Haltung gegenüber Russland vor allem in Europas Führungsmacht Deutschland ist es, das eine konsistente EU-Politik gegenüber Moskau schwierig macht. Fatal ist und bleibt es, wenn ein deutscher Ex-Kanzler für eine russische Gasröhre wirbt – und gleichzeitig klare Bekenntnisse aus Berlin für das europäische Pipelineprojekt Nabucco ausbleiben. Fatal ist und bleibt es, wenn SPD-Politiker wie Fraktionschef Peter Struck von „Äquidistanz“ gegenüber den USA und Russland reden: als wäre Deutschland ein neutraler Staat zwischen zwei aggressiven Polen, nicht etwa Teil der westlichen Wertegemeinschaft. Deren Grundüberzeugungen werden übrigens von der Mehrheit der Ukrainer und Georgier geteilt – von Staaten, die Europa der russischen Einflusssphäre nicht einfach opfern darf. Die ideologische Entwaffnung des Kommunismus durch die Freiheitsbewegungen Osteuropas und in der DDR, das Aufbegehren gegen Fremdbestimmung und Diktatur – auch das ist der Wertekitt, der Europa zusammenhält und das Fundament für eine gemeinsame Politik abgibt. Warum nicht ebenfalls gegenüber Russland? Ein Land, das Partner dieses Europas sein will und gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der eigenen diktatorischen Vergangenheit ablehnt, kann eine Sonderbehandlung nicht beanspruchen.